Tödlicher Liebeshunger |
Artikel aus dem St. Galler Taqgblatt vom Mittwoch, 21. Juli 2004
Auch das Glühwürmchen hat es heutzutage nicht leichtZu Schnecken können sie sehr brutal sein. Doch auf der andern Seite sind die Glühwürmchen wunderschön, wenn sie mit ihrem Liebesglühen dem Partner den Weg leuchten; kurz bevor sie sterben.SARAH ZURBUCHEN Der grosse französische Insektenforscher Jean-Pierre Fabre hatte seine helle Freude an den Glühwürmchen: «Kaum ein Insekt erfreut sich einer so grossen Popularität», schrieb er. Das war 1907. Doch die Faszination dieser Insekten ist bis heute nicht erloschen. Das spiegelt sich auch in der Werbung wieder. Als Sympathieträger muss der Käfer zahlreichen Produkten seinen Namen leihen: Dem Kinderbuch-Verlag «Glühwürmchen» etwa oder einer Steckerleuchte. Abstossende SeitenDabei handelt es sich bei den Lampyriden mit ihren zirka 2000 Arten weltweit zuerst einmal um einen gewöhnlichen Käfer, der auch seine abstossenden Seiten hat. So ernährt sich die Larve des Glühwürmchens während rund drei Jahren von Nackt- und Gehäuseschnecken, deren Spur sie verfolgt. Die Schnecken werden mit mehreren Giftbissen in den Kopf oder die Fühler überwältigt, Gehäuseschnecken gar rittlings vom Häuschen aus. Die Beute wird dann meterweit fortgeschleppt, bevor sie unter Laubhaufen in stundenlangem Kauen verzehrt wird. So fressen sich die aus den Eiern geschlüpften Larven durch mehrere Stadien hindurch. Nach etwa drei Jahren verpuppen sie sich. Ein bis zwei Wochen später schlüpfen flügellose Weibchen und flugfähige Männchen. Von jetzt an wird gefastet, denn die ganze Energie wird fortan für die Partnersuche verwendet. Mit einem ausgeklügelten, körpereigenen Kraftwerk erzeugt der Leuchtkäfer Licht (siehe «Stichwort»). Auf der Hinterseite des Unterleibs liegt die Zellschicht, die ein Licht erzeugt.Wegweisung für MännchenIm Juni und Juli sitzen die Weibchen des Grossen Glühwürmchens am Boden oder auf Grashalmen und leuchten mit ihrem grünlichen Licht liebeshungrigen Männchen den Weg. Diese fliegen wenige Meter über dem Boden und suchen Flugzeugen gleich ihren beleuchteten Landeplatz. Ist dieser erspäht, lassen sie sich haargenau zu den entflammten Weibchen herunterfallen. Ihr Ziel ist erreicht. Nach der Paarung ist ihr Lebenszyklus beendet. Die Weibchen sterben kurz nach der Eiablage.Vergänglich und schönWo es die Tiere gibt, ziehen sie Aufmerksamkeit auf sich, weltweit. In Japan etwa entstand rund um das Glühwürmchen eine ganze Tradition. Im 17. Jahrhundert erfuhr die Haiku-Dichtung ihre Blüte, in der die Leuchtkäfer eine grosse Rolle spielten. «Hotaru», das Glühwürmchen, steht für Flüchtigkeit, Vergänglichkeit, Schönheit und Trauer und bedeutet nicht nur Leuchtkäfer, sondern auch Einklang zwischen Mensch und Natur. Seine Faszination verdankt der Käfer unterdessen nicht nur der eindrücklichen Erscheinung, sondern auch seiner zunehmenden Seltenheit - hierzulande, wie auch in Nordamerika. «Houston, we have a problem!», stellte der texanische Rechtsanwalt Donald Ray Burger vor ein paar Jahren fest. Der Grund: In Houston gab es keine Leuchtkäfer mehr.«Zauber der Natur»Auch in der Schweiz werden die Tierchen immer seltener. Stefan Ineichen, Biologe in Zürich, erklärt warum: «Glühwürmchen scheinen auf ziemlich alle wesentlichen Faktoren anfällig zu sein, welche die natürliche Vielfalt der Landschaft bedrohen: Bodenverdichtung, Strukturverlust, Fragmentierung, Düngereintrag aus Luft und Landwirtschaft, diverse Pestizide.» Stefan Ineichen ist Präsident des «Glühwürmchen-Projekts Schweiz»* und ist ganz Feuer und Flamme für das Insekt. «Leuchtkäfer verkörpern für mich den Zauber der Natur», sagt er. Zusammen mit 23 anderen Glühwürmchen-Fans, alle Mitglieder des Vereins und Naturwissenschafter, setzt sich Ineichen für die Erforschung und Förderung der Lampyriden ein. Beispielsweise sammelt der Verein etwa aus der ganzen Schweiz Daten von gesichteten Leuchtkäfern oder führt Exkursionen durch. Ineichen erklärt, in welchem Umfeld Glühwürmchen leben: «Wo diese leuchtenden Käfer leben, da ist die Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren meistens sehr hoch.»Ansiedlung zwecklosSo bräuchten sie auf kleinem Raum offene Flächen, wo der Boden erwärmt wird, und schattige, feuchte Plätze, wo sie vor dem Austrocknen geschützt sind. Und wer Leuchtkäfer ansiedeln möchte? «Glühwürmchen lassen sich nicht in den Garten zwingen», erklärt Ineichen. Die Ausgangspopulation werde so nur geschwächt, und oft würden unbefruchtete Weibchen verfrachtet. Dass es sich dann mit einem Männchen paart, ist unwahrscheinlich. Wo aber die Voraussetzungen existieren, da lassen sich die Käfer von selbst nieder. Das kann der 60-jährige Otto Gehrig aus Wangen an der Aare nur bestätigen. Er, der mit dem Tier Kindheitserinnerungen verbindet, hatte einen Traum: Die «Totenmüggerli», wie er sie nennt, im eigenen, naturnah gestalteten Garten zu haben. Und siehe da: Sie kamen von selbst.Um die Wette glimmenInzwischen lebt eine ganze Kolonie vor Otto Gehrigs Haustür. Lange hat er mit allen möglichen Gegenständen versucht, seine «Totenmüggerlis» zum Leuchten zu bringen. Heute weiss er, wie er mit den Tieren in Kontakt treten kann: Er flaniert durch den Garten, zündet sich eine Zigarette an und glimmt mit den Käfern um die Wette.*Glühwürmchen gesichtet? Ein Meldeformular kann unter info@gluehwuermchen.ch oder beim Glühwürmchen-Projekt, Hallwylstrasse 29, 8004 Zürich, bestellt werden. Weitere Informationen unter www.gluehwuermchen.ch. Stichwort: Biolumineszenz ![]() ![]() ![]() Wie Glühwürmchen glühen: Auf der Bauchseite sitzt das weissliche Leuchtorgan Um zu leuchten, bedienen sich die Glühwürmchen der so genannten Biolumineszenz. In den Leuchtzellen an der Bauchseite des Hinterleibes findet eine biochemische Reaktion statt, bei der die frei werdende Energie fast ausschliesslich in Licht umgesetzt wird. Bei vielen Leuchtkäfer-Arten kann das An- und Abschalten innerhalb von Sekundenbruchteilen erfolgen. Südasiatische Leuchtkäfer blinken sogar synchron. (sz) Copyright © St.Galler Tagblatt, eine Publikation der Tagblatt Medien |